Kurz nach Mittag erreiche ich dann die Marina von Cefalù. Marina ist in diesem Zusammenhang übertrieben, denn es handelt sich eher um einen Fischerhafen, an dessen Kaimauer in der Verlängerung ein Schwimmsteg ausgebracht ist, an dem Stromsäulen und Wasseranschlüsse montiert sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Konstruktion im Winter gar nicht mehr da ist. Renzo hilft mir beim Anlegen und bei der freundlichen Dame im «Hafenbüro» werde ich nett empfangen. Der Papierkram ist sehr schnell erledigt. Francesca erklärt mir, wo ich den Müll entsorgen kann, Duschen und WC gibt es nicht, dafür alle dreissig Minuten einen Gratisshuttle in die Stadt und ein Supermarkt liefert die gekaufte Ware direkt zum Boot. Perfekt. Ich fahre alle Systeme runter, den Ankeralarm werde ich heute nicht mehr brauchen und den Generator muss ich auch nicht mehr starten, der Strom kommt jetzt von Land.
Von der Marina ins Zentrum von Cefalú ist es zwar nicht so weit, ich nehme aber das freundliche Angebot der Marina an und lasse mich mit deren elektrischen Fahrzeug hin fahren.
Cefalù ist eine reizende, typisch sizilianische Stadt mit engen Gassen, winzigen Geschäften, kleinen Bars und verträumten Restaurants, die ihre Tische und Stühle auf den Stiegen aufgebaut haben.
Von den Balkonen hängt die Wäsche, Vespas zwängen sich durch die engen Gassen.
Knapp 14'000 Menschen leben hier, überwiegend vom Tourismus.
Bereits in der prähistorischen Zeit war die Gegend besiedelt, Griechen, Römer, Araber und Normannen hinterliessen ebenfalls ihre Spuren. Die Normannen, die sich hier niedergelassen haben, stammten aus der Normandie. Sie sind Nachfahren der Wikinger, die im sechsten Jahrhundert in das fränkische Reich aufgenommen wurden und das Christentum annahmen. Sie eroberten das Gebiet von den Sarazenen und schufen eine bis heute erhaltene Kultur.
Die Kathedrale wurde im zwölften Jahrhundert vom Normannenkönig Roger III. aus Dankbarkeit für seine Rettung in Seenot erbaut und ist die besterhaltene ihrer Art in Italien. Mächtig thront sie mit ihrer interessanten Architektur mit byzantinischen, normannischen und arabischen Einflüssen über der Stadt vor dem 250 Meter hohen Kalkfelsen, der für die Namensgebung der Stadt verantwortlich ist. Die Griechen nannten die Stadt «Kephaolidion» und die Römer später «Cephaloedium», was beides Kopf bedeutet.
Ich gehe kurz hinein, die Kirche ist schön geschmückt, da gerade eine Hochzeit stattfindet. Ein Mann vom Sicherheitsdienst lässt niemanden rein, der nicht entsprechend gekleidet ist, das heisst Frauen, die nur einen Bikini tragen und Männer, die mit nacktem Oberkörper herumlaufen. Es ist schon ein Phänomen, dass das nicht selbstverständlich ist, sondern einen Aufpasser braucht, der in Erinnerung ruft, dass man hier ja nicht eine Strandbar betritt, sondern einen würdigen Ort. Berühmt ist das riesige Mosaik mit einer Darstellung von Jesus, das sich über dem Altar in der Kuppel befindet. An beiden Seiten finden sich Sarkophage aus Stein. Der Zugang zu einer Gruft ist mit einem Gitter bedeckt und abgesperrt. Ob hier König Roger III. liegt, lässt sich nicht eruieren.
Seit einigen Wochen bin ich nun unterwegs, meine Haare sind vom Wind zerzaust und mein Bart sollte auch wieder einmal professionell gepflegt werden. Ich nehme mir vor, mich einem Friseur auszuliefern und finde einen ansprechenden Salon mit dem Namen «Rajmondi». Umberto, ein alter Mann mit grauem Haar und grauem Bart, elegant gekleidet mit einem blau-weiss gemustertem Hemd, einer blauen Hose und weissen Schuhen, steht an der Tür. Ein «capo» vom Scheitel bis zur Sohle. Er begrüsst mich mit einem freundlichen Lächeln und bietet mich, auf einem der Wartestühle Platz zu nehmen. Einige Minuten später holt er mich zum Waschbecken, wäscht mir die Haare und bringt mich anschliessend zu einem Friseurstuhl. Er fragt, woher ich komme und was ich hier mache. Ich erzähle es ihm. Im Salon sitzen noch ein paar Damen und alle beginnen sich in das Gespräch einzumischen. Ich komme mir vor, wie in einem Kaffeehaus. Zwischendurch ruft von draussen aus einem vorbeifahrenden Auto jemand herein, Umberto unterbricht kurz seine Arbeit und unterhält sich mit ihm.
Umberto hat dreissig Jahre in der Westschweiz gelebt und dort als Friseur gearbeitet. Jetzt hilft er hier im Familienbetrieb.
Ich bemerke, dass er offensichtlich Schmerzen hat, gebe mich als Arzt zu erkennen und frage, was los ist. Er ist 82 Jahre alt und leidet an chronischen Rückenschmerzen. Heute morgen war er bei der Massage und wie immer tut es ihm danach weh. Ich rate ihm zu einem Wärmepflaster. Der Friseur am Nebenstuhl, greift sofort zum Telefon, ruft die Frau von Umberto an und bittet sie, ein solches in der Apotheke zu besorgen. Ein paar Minuten später kommt sie und bringt ihm eines, das aber viel zu klein ist.
Ich verspreche ihm, eines von Bord zu holen und in einer Stunde wieder zu kommen. Das mache ich dann, habe aber nur mehr ein Stück, das ich ihm dann bringe. Umberto ist sichtlich gerührt, bedankt sich mit einer Umarmung und einem dicken Kuss auf meine Backe. Als Gegenleistung schenkt er mir eine grosse Tube Haarshampoo.
Auf dem Weg zurück ins Zentrum begegnet mir ein alter Mann mit einer Trompete in der Hand, der um ein paar Euro bittet, dafür würde er mir ein Ständchen spielen. Da lass ich mich nicht zweimal bitten, drücke ihm meine restlichen Münzen in die Hand und lass ihn spielen. Das macht er sehr gut, melodiös, rhythmisch und virtuos.
Ein kleines Restaurant «La Siciliana» in einer Seitengasse zieht mich an, welches original sizilianische Speisen anbietet. Im Innenhof finde ich unter Zitronenbäumen einen angenehmen Platz und bestelle einen Tintenfisch auf Kartoffelpüree. Es schmeckt hervorragend, auch der Hauswein kann sich sehen lassen.
Gestärkt mache ich mich wieder auf den Weg, lass mich treiben, setze mich in eine Bar am Hauptplatz und beobachte bei einem Glas Aperol Spritz, was um mich herum passiert. Die Strassen sind inzwischen voller geworden. Zahlreiche Touristen schieben sich durch die engen Gassen.
Dann mache ich mich noch auf den Weg zum Supermarkt. Morgen möchte ich wieder weiter segeln und muss meine Vorräte ergänzen. Zwei voll gefüllte Einkaufswagen sind es schliesslich. Am späten Nachmittag werden sie zu mir an Bord geliefert.
Ich mache mich auf den Weg zurück, rufe in der Marina an, um mich von deren Elektrogefährt wieder abholen zu lassen.
Meine Ware wird pünktlich geliefert, in einer Stunde ist alles am richtigen Ort verstaut. Jetzt bin ich wieder für zwei Wochen autark.